Yves Ravey: Ein Freund des Hauses (Kunstmann)

In Yves Raveys neuem Roman Ein Freund des Hauses, erschienen bei Kunstmann, geht es um einen Verdacht, um die Angst vor einem Verbrechen und um Argwohn, der den Blick auf kleinste Details des Alltagslebens unwiderruflich verändert – und sich leicht benutzen lässt, um von der eigentlichen Gefahr abzulenken.

Als ihr Cousin Freddy aus dem Gefängnis entlassen wird, weigert sich Madame Rebernak, ihn aufzunehmen. Mag sein, dass sie die einzige Verwandte ist, doch die resolute Witwe weiß wie jeder in der kleinen Provinzstadt, dass Freddy damals ein kleines Mädchen missbraucht hat. Wie kann sie ihn in Schach halten, wie ihre Tochter Clémence vor ihm schützen? Denn Freddy hat seine Strafe verbüßt und kann sich überall frei bewegen, und auch das junge Mädchen entzieht sich ihrer Kontrolle. So ist Madame Rebernak ganz auf ihre eigene Wachsamkeit gestellt, will sie ein neues Verbrechen verhindern. Ihr einziger Trost ist, dass Clémence mit dem Sohn des Notars befreundet ist, der zu den Honoratioren des Ortes zählt und sich so nett um die Familie kümmert. Aus Dankbarkeit hat sie ihm erst kürzlich das Jagdgewehr ihres verstorbenen Mannes überlassen. Sonderbar nur, dass der Notar das junge Mädchen neuerdings gern selbst in seinem Sportwagen heimbringt.

Die Geschichte spielt nicht in einem geschlossenen Raum,  von Seite zu Seite wechselt die Szenerie. Hier ein einfaches neues Zuhause mit Veranda und einem Gartenschuppen, dort der Stadtrand, wo man im Fluss angeln oder schwimmen kann, im Herzen der Stadt steht die Kirche, der Friedhof, ein Café mit Terrasse und am Platz der Abtei steht das schöne Anwesen des Notars. Und dennoch hat die Szenerie etwas klaustrophobisches. Man spürt die Bedrängung, man ist auf der Hut, als ob man sich auf einem Minenfeld bewegt, sobald man das Tor zu diesem ländlichen Universum öffnet. Die scheinbare Banalität der einzelnen Komponenten des Romans steht im krassen Gegensatz zur extremen Raffinesse in der Schreibkunst Yves Raveys, die Macht der Empfindungen, Emotionen, Reflexionen in Gang zu setzen. Hinter der Linearität der Handlung, der dezenten Harmonie, dem präzisen Schreiben und der Einfachheit der Dialoge entwickelt sich von Anfang an eine Erzählung, die bis zum extrem angespannt ist. Der intime Federstrich schließt die starke Verankerung in einem sorgfältig beobachteten und analysierten sozialen Kontext nicht aus, in dem eine Umkehrung der Machtverhältnisse möglich ist.

Yves Ravey lehrt als Professor für bildende Kunst in seiner Geburtsstadt Besançon. Er ist Autor zahlreicher Romane und Theaterstücke und wurde für sein Gesamtwerk mit dem Schweizer Prix Renfer ausgezeichnet. In Deutschland erschien von ihm bereits der Roman Bruderliebe.

Ein Freund des Hauses von Yves Ravey ist bei Kunstmann erschienen. 
(JK 01/15)

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