Buchhandlung
Christiansen
Dienstag, 11.06.2019
20.00 Uhr
Bahrenfelder
Straße 79, Hamburg
Eintritt: nach Wunsch
Zufall, Fluch, Wimmelbild: Saša Stanišić stellt
sein neues Buch Herkunft vor, das bei Luchterhand erschienen ist.
Es sei »ein Konstrukt«,
heißt es da, „eine Art Kostüm“ für immer, „Fluch“ und „Vermögen“, „Zugehörigkeit,
zu der man nichts beigesteuert hat“, „Kitsch“ und „»Wimmelbild«. All das gehört
für Saša Stanišić zur Herkunft, so wie die Häkchen in seinem Namen und die
Jahre, in denen sein Aufenthalt in Deutschland nur zum Studium erlaubt war. In
seinem neuen Buch Herkunft geht er all diesen Varianten nach. Sie tragen
sich mal schneidend tief, dann an den lichteren Oberflächen in das Leben ein.
Was seine Spurensuche dabei aber vor allem vorantreibt, was ihr den Takt
vorgibt, ist das Vergessen. Von dem wird Kristina Stanišić heimgesucht. Und
ihr Enkelsohn Saša schreibt dagegen an, denn wer Geschichten erzählt,
konstruiert Erinnerung.
Das Land, in dem Saša
Stanišić 1978 geboren wurde, gibt es heute nicht mehr. Er flüchtete während
des Bosnienkrieges im Alter von 14 Jahren mit seinen Eltern aus Višegrad in
Bosnien nach Heidelberg, hat am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studiert
– und ist heute einer der bekanntesten und auch international erfolgreichsten
Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. Seine Familie lebt über die ganze
Welt verstreut, sie sei „mit Jugoslawien auseinandergebrochen“, schreibt
Stanišić in Herkunft, und hätte sich danach »nicht mehr zusammensetzen
können«. Sein „Geschichtenkitt“ ändert an dieser Entfremdung nichts, obwohl er „das
Heile beschwört und das Kaputte überbrückt“.
Zum Ausgangspunkt seiner
Herkunftssuche wird ihm ein Dorf in den bosnischen Bergen, „das es bald nicht
mehr geben“ wird, weil dort kaum noch jemand lebt. Er besucht es zusammen mit
seiner Großmutter Kristina. Dort oben in Oskoruša heißen sie alle Stanišić, und
sie liegen fast alle auf dem Friedhof, auch seine Urgroßeltern. Zuerst macht er
sich nicht viel daraus, „Zugehörigkeitskitsch“, denkt er, bis Kristina neun
Jahre später vergesslich wird. Er beginnt eine große Recherche und findet
unzählige Geschichten, von denen manche so wahr sind, wie es Geschichten nur
sein können und andere so gut von ihm erfunden, dass man sie unbedingt glauben
will. Sie erzählen von seinen Heimaten in Bosnien, in Deutschland und in der
Sprache.
Saša Stanišić beherrscht
die Tempi perfekt, er ist ein großartiger Erzähler, spielerisch leicht findet
er Pointen, wenn es seine Geschichte erlaubt und schweift ab, sobald der Text
den größeren Atem braucht. Und am Ende geht das dann tatsächlich (fast) für
immer so weiter mit dem Geschichtenerzählen. Die Leser können sich ihr eigenes
Finale dieses Abenteuers zusammenbrauen – und landen dabei zielsicher immer
wieder mitten im Geschehen.
Herkunft von Saša Stanišić ist
bei Luchterhand erschienen.
Eine Veranstaltung im
Rahmen der Literatur Altonale.
(JK 06/19)
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